Eine größere Anschaffung

Eines Abends saß ich im Gasthof „Zur schnellen Suche“ vor einem frisch gezapften Glas Hefeweizen, als sich ein ganz gewöhnlich aussehender Mann mittleren Alters neben mich setzte und mich mit leiser Stimme fragte, ob ich vielleicht eine Suchmaschine kaufen wolle. Nun, ich kann schlecht nein sagen, darum ist es auch nicht sonderlich schwer, mir etwas zu verkaufen, aber bei einer Anschaffung dieser Größenordnung waren selbst bei mir leichte Zweifel angesagt. Obwohl ich nicht sonderlich viel von Suchmaschinen verstand, stellte ich dem Mann Fragen zu Index-Größe und Prozessor-Typ, um bei ihm den Eindruck zu erwecken, er habe es mit einem Experten zu tun, der nicht einfach die Katze im Sack kaufen würde. Der Mann zeigte mir Fotos und Anschlußpläne von der Suchmaschine und Quelltext-Auszüge vom Ranking-Algorithmus. Insbesondere der Ranking-Algorithmus namens „PageRank 10“ konnte mich begeistern und so bestellte ich die Maschine zu einem günstigen Preis, der vor allem dem Umstand geschuldet war, dass es sich um einen schon gebrauchten Artikel handelte.

rechenmaschine

Noch in derselben Nacht wurde die Suchmaschine geliefert. Vielleicht hätte mich das stutzig machen sollen, aber erst einmal dachte ich mir nichts dabei. Im Haus konnte ich die Maschine nicht unterbringen, alleine schon wegen des fehlenden Platzes, und so baute ich sie in der Garage auf, ohnehin der richtige Platz für derlei Werkzeug. Zum Glück passte sie komplett hinein. Lang genug war die Garage, ich hatte Jahre zuvor einmal meinen Sattelzug – auch eine größere Anschaffung – dort untergebracht, der mir eines Nachts daraus gestohlen wurde. Rasenmäher, Spaten und Schubkarre mussten leider weichen.

Kurze Zeit später bekam ich Besuch von meinem Schwager. Ein echter Erbsenzähler. Ein unausstehlicher Mensch, den nichts erstaunt, der alles besser weiß, der alles erklären kann und für den nur die Fakten zählen. Kurzum, ein richtiger Unsympath. Nach leicht unterkühlter Begrüßung, zweistündigem Schweigen und fünfzehn schweren Glas Wodka beschloss er, bei mir zu übernachten und den Wagen in die Garage zu stellen. Nach einigen Minuten kam er zurück und sagte mit leiser, leicht zitternder Stimme, daß in meiner Garage eine große Suchmaschine stünde. „Ich weiß“, antwortete ich mit ruhiger Stimme, während ich genüsslich an meinem Wodka nippte: „Ich habe sie mir vor kurzem angeschafft.“ Auf seine zaghafte Frage, ob ich öfters damit suchen würde, sagte ich nein, nicht oft, nur neulich nachts hätte ich nach den Lottozahlen vom Mittwoch gegoogelt. Tags darauf habe ich dann 6 Richtige mit Zusatzzahl getippt, aber das dürfte wohl nichts mit der nächtlichen Suchaktion zu tun gehabt haben. Natürlich war das gelogen, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, meinem Schwager einen mitzugeben. Ich weiß nicht, inwiefern er mir die Geschichte abgekauft hat, auf jeden Fall war er danach sehr schweigsam und fühlte sich offensichtlich nicht mehr wohl in seiner Haut. Er wurde ganz einsilbig, leerte sein Glas und verabschiedete sich. Ich habe ihn seitdem nie mehr gesehen.

Als Tags darauf die Meldung über die Ticker ging, dass der Deutschen Telekom eine Suchmaschine abhanden gekommen sei, war mir sofort klar, dass ich das Opfer einer unlauteren Transaktion geworden war. Kein Wunder also, dass ich dem Verkäufer mit großer Skepsis begegnete, als er mir kurz darauf im Gasthaus wieder über den Weg lief. Bei dieser Gelegenheit wollte er mir einen Webkatalog verkaufen, aber ich wollte mich in ein Geschäft mit ihm nicht mehr einlassen – und außerdem, was soll ich mit einem Webkatalog?

Der Text basiert auf einer Groteske von Wolfgang Hildesheimer aus dem Jahre 1952 mit dem Titel „Eine größere Anschaffung“. Erschienen im Rahmen der Lieblosen Legenden. Hier geht es zum Originaltext

12 Gedanken zu „Eine größere Anschaffung“

  1. Hallo Gerald,

    vielleicht treffen wir uns mal auf eine Flasche. Ich hätte auch noch einen Webkatalog zu verkaufen, garantiert nicht geklaut, bzw. nur teilweise und das ganz legal, passt in jede Garage und ist extrem pflegeleicht.

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  2. Hehe, schöne Geschichte. Magste denn verraten was die Suchmaschine gekostet hat :)? Vielleicht komm ich dann auch mal da im Gasthaus vorbei und kauf bei dem netten Mann etwas :).

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  3. @jan – da triffst du einen neuralgischen punkt. der stromverbrauch entspricht dem einer mittleren kleinstadt. als die stromrechnung bei mir reinschneite, das war genau der zeitpunkt, an dem ich das erste mal stutzig wurde und das gefühl aufkam, man könnte mich übers ohr gehauen haben.

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  4. Sehr nett, so eine eigene Suchmaschine hätte ich auch mal gerne.
    Abgesehen davon bringt mich das auf eine ganz fiese Idee im Bezug auf eine nervige Dame bei uns in der Buchhaltung… Danke für die Inspiration.

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  5. Echt super Geschichte, gefällt mir echt gut. Davon könnt ich noch mehr lesen :-)

    Ob Google mir den auch seine Suchmaschiene für einen günstigen Preis verkaufen würde? Bei ein paar Gläsern Vodka wär das sicherlich einfacher herauszufinden.

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  6. Wahrscheinlich ist dieser Verkäufer der gleiche Kerl, der mir letztens einen luftigen Wolkenrechner, einen sogenannten Cloud-Computer, andrehen wollte. Als ich den nicht wollte, kam er mir mit einer Wortpresse, angeblich hehlerfreie Ware von wordpress.com. Ich glaube das war das war ein Weblügner, der schon oft im Web log und sein Unwesen in Weblogs treibt.

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