Nach Seo, dem Söldner und „Papa, ich will Seo werden“ folgt hier der dritte Streich aus dem Reich der SEO-Märchen. Märchenonkel Andre M. geht diesmal nicht so scharf mit den Seos in Gericht, übt sich ein wenig in Medienkritik und frönt ansonsten seiner Wortartistik. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht nur rein zufällig, sondern auch reine Absicht. Und jetzt gehts los mit der Märchenstunde.Viel Spaß.
Schneewittchen und die sieben Seos
Es war einmal in einem kleinen Ort. Der König lebte auf seiner Burg, war der vielen Empfänge und Feiern aber überdrüssig geworden und spielte abends lieber am PC oder chattete mit Freunden. Den Ballsaal hatte er deshalb an den Hofnarren vermietet, der dort jedes Wochenende zur Dorfdisco lud. Um das Geschäft ein wenig anzuheizen, wollte der Narr ein Schlammcatchen mit den Dorfschönheiten veranstalten. Das passte dem König gar nicht. „Den Schmodder kriegst Du nie wieder von den Wänden und den Rüstungen“, lehnte er den Vorschlag ab. Auch mit Pudding und Gelee, in denen die Mädels mit knappen Bikinis herumtoben sollten, konnte er sich nicht anfreunden. So schlug er einen Schönheitswettbewerb vor. Der Hofnarr überlegte kurz und machte sich frisch ans Werk. In seiner Kundendatenbank fand er schnell die passenden Kandidatinnen und schrieb allen eine E-Mail, auch Schneewittchen und ihrer böse Stiefmutter.
„Sie haben Post“, hauchte eine zarte Frauenstimme im Hause von Schneewittchens Stiefmutter. Wie ein Echo kam die gleiche Stimme wenigen Sekunden später auch aus dem Zimmer des Mädchens mit den langen, blonden Haaren. „Stiefmutter, darf ich an dem Wettbewerb teilnehmen. Das macht bestimmt Spaß“, fragte Schneewittchen artig. Doch der Blick der verhärmten Frau verriet alles. Das „nein“ brauchte sie gar nicht abzuwarten. „Was denkst Du eigentlich? Glaubst Du wirklich, dass Du eine Chance gegen mich hättest?“, fragte die Stiefmutter mit hochgezogenen Augenbrauen, „ich bin die Schönste im ganzen Land.“ Um sicher zu sein, dass Schneewittchen die Anmeldung nicht doch ausfüllt, schickte sie das Mädchen in die Stadt. Ihr hinterher den grimmigen Schergen. Auf dem Weg in die Stadt sollte er Schneewittchen abfangen und im Wald verstecken. Der Mann, der das Mädchen schon von Kindesbeinen an kannte, brachte die abscheuliche Tat nicht übers Herz. Er warnte Schneewittchen vor der Stiefmutter und ließ sie laufen.
Die blonde Schönheit lief und lief, über die sieben Berge, bis sie an einer Villa ankam. Niemand war da. So ging sie ins Haus und sah sich um. Einige Stunden später trudelten die Bewohner der Villa ein, die sieben Seos. Sie kamen gerade von einer Konferenz und waren eigentlich ziemlich müde. Doch etwas stimmte nicht. „Jemand hat mein iPhone betoucht“, sagte der erste Seo. „Jemand hat von meinem Kakao getrunken“, der zweite und der dritte Seo schließlich: „Jemand hat mit meinem Netbook auf Kosmetikseiten gesurft.“ Im Wohnzimmer fanden sie den Grund für das Durcheinander. Ein blondes Mädchen lag schlafend auf dem Sofa vor dem 60 Zoll großen Flachbild-Fernseher. „Wer ist das?“, fragten sie sich. Die junge Frau zu wecken, wagten sie nicht. So warteten sie, bis Schneewittchen sich reckte und streckte. „Oh, ist das Euer Haus?“, fragte sie mit beinahe kindlicher Unschuldsmine. „Ja, wir sind die sieben Seos. Wir wohnen und arbeiten hier.“
Schneewittchen berichtete ihnen von der bösen Stiefmutter. Sie ließ ihren Tränen dabei freien Lauf und schluchzte laut. Da nahmen die zwei Seo-Frauen der Gruppe das Mädchen in den Arm und trösteten sie. „Wir schaffen es schon, dass Du am Wettbewerb teilnimmst und gewinnst. Zusammen mit Bruce kümmern wir uns um die On-Page-Optimierung und die anderen sorgen dafür, dass Off-Page alles läuft.“ Die Seos nickten, während das Mädchen verdattert auf dem Sofa saß. Für Schneewittchen klang das alles nach Bahnhof. „Was, On- und Off-Page?“, frage sie ein wenig verwirrt, „ich bin doch schön, oder?“ Sie sah die Seos an, als würden sie gleich die Skalpelle aus dem Schrank holen und sie operieren wollen. „On-Page machen wir Dich noch attraktiver, mit unserer ganz eigenen Seo-Typ-Analyse. Off-Page steigern wir Deinen Bekanntheitsgrad“, versuchten die Seos, ihr Handwerk zu erklären.
Schon am nächsten Tag nahmen die beiden Seo-Damen und Bruce Schneewittchen mit in den Partykeller. „Jetzt zeig´ uns mal, wie Du über die Bühne läufst“, forderten sie das Mädchen auf. Schneewittchen stakte in den acht Zentimeter hohen Schuhen unsicher über den Boden. Bruce war entsetzt. Er schnappte sich seine Pumps, die Handtasche und machte es Schneewittchen vor. Nach einigen Stunden Training hatte sie den Dreh raus. „Drama, Baby. Mehr Drama“, rief Bruce ihr zu und klatschte leise, als es endlich klappte. Die Seo-Frauen kümmerten sich derweil um Outfit und Make-up. „Sie hat blaue Augen, die müssen wir unterstreichen“, überlegten sie. Der Hintern von Schneewittchen schien ihnen etwas zu füllig angesichts der sonst eher schmalen Figur. „Das kaschieren wir“, stand der Plan.
So vergingen einige Tage. Schneewittchen schwitzte beim Lauftraining und im Fitnessraum. Sie lernte, sich perfekt zu präsentieren, um die Gäste in der Dorfdisco gleich vom ersten Augenblick an zu begeistern. Die Seo-Damen und Bruce erklärten ihr, wie wichtig es ist, sich bei der Vorstellungsrunde kurz und knapp zu beschreiben, mit Schlagworten wie „zuverlässig“, „freundlich“ und „hilfsbereit“. Für die Show musste man sich allerdings noch etwas überlegen. Denn Singen gehörte nicht gerade zu den Stärken des Mädchens. Schneewittchen davon zu überzeugen, dass sie keine Sängerin ist, kostete zwar Kraft und Nerven. Aber die Seos nahmen auch diese Hürde. Das Mädchen entschied sich für einen anderen Showact. Sie würde das Publikum als Artistin verzücken. Damit hatten die Seo-Damen und Bruce vom ersten Auftritt bis zur Bikini-Runde alles perfekt miteinander verlinkt.
In der Zwischenzeit überlegten sich die übrigen Seos, wie sie Schneewittchen bekannter machen können. Sie twitterten eifrig, hinterließen Kommentare in Blogs, warben im Bäckerblättchen des Ortes mit dem Hinweis „Schneewittchen wird sie verzaubern“. Auch im Webradio lief ein Spot, der Schneewittchen als Höhepunkt des Schönheitswettbewerbs anpries. Der bösen Stiefmutter entgingen diese Maßnahmen nicht. Sie jagte den grimmigen Schergen vom Hof und versuchte ihrerseits, Werbung zu machen. Jedem, der ihr auf der Straße begegnete, sagte sie mit einem schiefen Lächeln: „Du bist der 100ste, den ich heute anlächle. Gib‘ mir Deine Stimme und Du kannst ein Auto gewinnen.“ Zusätzlich installierte sie eine Leuchtreklame an ihrem Haus. In allen Neonfarben war dort zu lesen: „Ich bin die Schönste im ganze Land.“ Die Nachbarn zogen schon in der ersten Nacht die Jalousien bis zum Anschlag herunter.
Da keiner auf ihre Avancen reagierte, ersann die Stiefmutter einen teuflischen Plan. Sie verkleidete sich als Telekommunikationstechniker und ging zur Villa der Seos. Nur Schneewittchen war im Haus. „Kindchen, ich muss die DSL-Leitung prüfen“, erklärte die Stiefmutter. „Machen Sie nur, ich übe für den Schönheitswettbewerb“, trällerte das Mädchen. So bemerkte Schneewittchen nicht, dass die Stiefmutter einen Virus in das Computernetzwerk einschleuste, der alle Informationen zum Wettbewerb unbrauchbar machte. Auch die Schnittmuster für das Kleid waren weg. Als die Seos das sahen, machte sich Verzweiflung breit. „Jetzt kann nur der Prinz helfen“, sagten sie. „Der König hat doch gar keinen Sohn“, mischte sich Schneewittchen ein. Doch gemeint war kein blaublütiger Prinz, sondern der Computer-Prinz, der Meister der PCs. Er kam in einem rostigen Kastenwagen, verkabelte die Rechner mit seinem Notebook, hauchte ihnen neues Leben ein und rettete die Daten. „Oh Prinz, Du hast mich gerettet“, bedankte sich Schneewittchen mit einem Kuss auf die Wange.
Am Tag des Schönheitswettbewerbs schien die halbe Stadt in der Dorfdisco zu sein. Im Stimmengewirr war immer wieder der Name Schneewittchen zu hören. Die Stiefmutter grinste böse und war sich des Sieges schon sicher. Doch dann kam Schneewittchen in einem wunderschönen Kleid, geschminkt wie ein Topmodell und mit behänder Leichtigkeit auf hohen Hacken laufend in die Umkleide. Der Hofnarr pfiff anerkennend, was ihm böse Blicke der anderen Damen einbrachte. Eine nach der anderen musste auf die Bühne. Während Schneewittchen sich vorstellte und dabei auf die Keys achtete, die sie von den Seos eingebläut bekommen hatte, redete und redete die Stiefmutter. Ihr grausliches Kleid tat den Besuchern an den Augen weh. Der Gesang sorgte bei einigen Gästen für Tinnitus. Vom Auftritt im Bikini ganz zu schweigen. Schneewittchen hingegen wurde umjubelt. Sie gewann den Wettbewerb, einen flotten Schlitten und eine Eigentumswohnung in der Burg. Die Seos klatschten sich ab. Bruce tupfte sich die Tränen von den Wangen: „Das ist Drama, Baby.“ Und wenn die Seos nicht gestorben sind, dann twittern sie noch heute und telefoniert Bruce inzwischen für günstige neun Cent die Minute…
Hey,
schöne Geschichte, echt super geschrieben ^^
Vor allem die Anspielungen auf echt Charaktere sind genial. Gefallen mir sehr gut.
Wer hat die Geschichte denn nun geschrieben, du oder „Andre M.“?
Hallo,
das Märchen hat mir sehr gut gefallen! Finde die Idee dafür einfach klasse! Bravo!
Mfg Markus
Kakao? Das war ein trockener Dornfelder!!! Oder war es Fridays Bier?
Sehr schöne Wochenendlektüre :-)
Gute Abwechslung in der trockenen SEO-Branche, Dein Blog gefällt mir – hab sehr gelacht bei der netten Geschichte.
Viele grüße, Uli
Schneewittchen war doch aber nicht blond sondern wegen ihrer Haare, so schwarz wie Ebenholz, berühmt… tz tz tz :oD
@Sindy – gut aufgepasst. Die blonde Haarfarbe ist psychologisch begründet., da die meisten Seos an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom für dunkle Haare leiden. Seos lesen am liebsten etwas über blonde Mädels, schnelle Autos und geile Gadgets. Dieser Erwartungshaltung sind wir nachgekommen. Das Thema Autos kommt dann bestimmt im nächsten Märchen dran.
Die Geschichte ist echt super. Danke!
Schöne Geschichten und sehr kreativ. Vielleicht solltet ihr sie alle in einem Buch oder einer Zeitschrift bündeln. Es wäre wirklich schade, wenn alle die, die keinen Computer besitzen sie nicht lesen könnten. Auf „www.tamundo.de“ werden ebenfalls schöne Märchenbücher versteigert. Schade, dass das Märchenschreiben in der heutigen Zeit immer mehr in Vergessenheit gerät.
Hi!
Sehr coole Idee. Ich konnte garnicht mehr aufhören zu lesen, obwohl die Länge doch zunächst abschreckend wirkte ;) Tolles Märchen.
Gruß Martin
Schön zu lesen…
Rein subjektiv finde ich allerdings dass die Qualität von SEO der Söldner hier nicht ganz erreicht wird.
So gesehen die kleine Schwester vom Söldner, die ihre Pubertät anscheinend noch bekämpft.
Coole Geschichte ;-)